Die meisten Kommentare seit der Nacht von Sonntag auf Montag befassen sich sehr kritisch mit der aktuellen politischen Situation. Sicher muss man hinterfragen, weshalb es nicht gelungen ist, einen Kompromiss für eine tragfähige Regierung aus Union, FDP und Grünen zu finden. Ich selbst war überzeugt, dass es gelingen würde – und habe mich getäuscht. Nun müssen wir neu denken.
Bei allem Verdruss, den die politischen Akteure an den Tag legen, ich kann der Situation auch etwas Positives abgewinnen: In diesem Land wird wieder intensiv über Politik gesprochen, diskutiert und gestritten. Das war bitter nötig!
Aber wie kommen wir aus dem Dilemma heraus, dass aktuell anscheinend keine Mehrheit zustande kommen kann.
Ich gebe dem Bundespräsidenten recht: Die gewählten Volksvertreter haben eine Verantwortung übernommen, der sie nun gerecht werden müssen. Deswegen dürfen Neuwahlen nur eine Option sein, wenn wirklich nichts mehr geht.
Ich persönlich bin weiterhin gegen eine sogenannte „Große Koalition“ aus Union und SPD. Dieses Regierungsbündnis hat sehr effektiv gearbeitetn und solide regiert, was man durchaus auch einmal wertschätzen darf! Aber: Dieses Regierungsbündnis ist in meinen Augen maßgeblich für das Erstarken radikaler Kräfte verantwortlich und an einer gewissen Lähmung im demokratischen Diskurs.
Die Menschen haben den beteiligten Parteien mit einem Gesamtminus von 14 % einen deutlichen Denkzettel erteilt. Das ist für mich weiterhin ein klares Zeichen, dass ein einfaches Weiter-so nicht gewünscht wird. Aber wie soll es dann funktionieren?
Ich favorisiere eine Minderheitsregierung aus Union und Grünen oder FDP. Mit einer Tolerierung würde die SPD ihren staatspolitischen Beitrag für ein stabiles Regierungsbündnis leisten.
Und so abwegig, wie es teilweise dargestellt wird, finde ich diese Konstellation übrigens nicht. Natürlich wäre eine Regierung dann von Kompromissen mit einer Oppositionspartei abhängig. Aber das wäre auch bei einer Jamaika-Koalition für alle Gesetze notwendig gewesen, die durch den Bundesrat zu bestätigen sind. Dort müssen SPD-regierte Länder zustimmen.
Weshalb sollte es nun nicht möglich sein, diese Kompromissfindung schon stärker in den Bundestag zu verlegen? Das wäre Zeichen einer lebendigen Demokratie.
Mag sein, dass dies nicht dem Naturell der amtierenden Kanzlerin entspricht. Aber wer sagt denn, dass der Bundestag zwingend Frau Dr. Merkel zur Regierungschefin wählen muss?
Vielleicht sollten mehrere Dinge neu gedacht werden. Natürlich muss es Ziel sein, eine stabile Regierungsmehrheit zu erreichen, die effizient arbeiten kann. Aber vielleicht steht nun eine Legislaturperiode mit anderen Prioritäten vor uns. Und wenn das mit einem anderen Kanzler möglich ist, dann sollte diese Chance genutzt werden.
Wenn Entscheidungsfindungen tatsächlich wieder durch Diskussion im Parlament entstehen, kann das eine dringend benötigte Stärkung der Demokratie bewirken.
Willy Brandt hat uns mit auf den Weg gegeben, dass jede Zeit ihre eigenen Antworten benötigt. Vielleicht ist dies für die aktuellen Herausforderungen der richtige Weg?
Die Stunde einer lebendigen Demokratie – sie könnte es zumindest sein.
PS: Kommunalpolitiker haben zwar eine andere Funktion, aber sie machen genau dies Tag für Tag. Sie erarbeiten fraktionsübergreifend zusammen mit den anderen Ratsmitgliedern Lösungen für die Probleme vor Ort. Dadurch kommt man zwar nicht immer, aber doch meistens, zu Entscheidungen, die von den Menschen mitgetragen werden.