Persönliche Erklärung zu den aktuellen Ereignissen in der Bundesregierung und der Rolle der SPD

19. September 2018

Folgende persönliche Erklärung habe ich heute an die Mitglieder unseres Ortsvereins versendet:

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe SPD-Mitglieder,

sicher wühlen euch alle die Ereignisse der letzten Tage auf.

Ich muss offen gestehen: Ich verstehe die Welt nicht mehr.

Es steht außer Frage, dass ein Verfassungsschutzchef gehen muss, der öffentlich Mutmaßungen anstellt. Zudem auch noch unwahre. Das Video ist nachweislich authentisch und auch der Vorwurf an die Presse – man wolle von einem Mord ablenken – ist nicht zu belegen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Totschlag, was von Anfang an auch offen so von den Medien kommuniziert wurde.

Bei den Ausschreitungen in Chemnitz ist aber noch etwas passiert, was in der Tat von einer freien Presse auch durchleuchtet werden muss – sogenannte besorgte Bürger, Vertreter der Partei AfD und Neonazis sind Hand in Hand aufmarschiert und haben in dutzenden Fällen auch Gewalt gegen Menschen angewendet. Dort waren hunderte Personen, die den Rechtsstaat und die demokratische Grundordnung offen ablehnen. Wenn die den Schulterschluss mit der sog. bürgerlichen Mitte suchen und teilweise auch schaffen, dann sollte der Verfassungsschutz hellhörig werden! Bei dieser Gemengelage die Berichterstattung darüber noch zu relativieren, dass ist für dieses Amt unwürdig. In Summe war eine Entfernung aus dem Amt unausweichlich.

Soweit, so richtig. Aber dann findet ein Gespräch zwischen den drei Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD statt. Direkt im Anschluss wird bekanntgegeben: H. Maaßen wird versetzt.
Nicht irgendwo hin. Nein, er wird als Staatssekretär Teil der Bundesregierung. Da das noch nicht schlimm genug ist, wird dafür ein Staatssekretär mit SPD-Parteibuch in den Vorruhestand versetzt. Noch dazu der einzige mit Fachwissen im Bereich Bauen, was im Innenministerium angesiedelt ist.

Also noch mal zusammengefasst. Die SPD fordert die Entfernung von H. Maaßen.

Ergebnis: Eine Beförderung von H. Maaßen in die Bundesregierung. Der einzige, der einen Job verliert ist ein SPD-Staatssekretär.

Als die allermeisten die einzig denkbare Reaktion darauf zeigen – nämlich Kopfschütteln – fängt die Beschwichtigungsrethorik des Parteivorstands an. Die SPD habe sich durchgesetzt.

Aus Unverständnis wurde bei mir Wut. Wut auf diesen Parteivorstand und den Schaden, den er dieser Partei – aber auch der Demokratie im Ganzen - zufügt. Jeder, der seit gestern die Medienreaktionen, Diskussionen im Netz oder an den Stammtischen verfolgt hat, der wusste, dass man das so nicht stehen lassen kann.

Das hat Andra Nahles auch gemerkt. Vielleicht auch befeuert durch einen Brief von Natascha Kohnen, in dem sie dazu auffordert, dass die SPD-Minister diese Personalie verhindern sollen. Aber es folgte nicht die Einsicht, dass dieser Kompromiss weder den Mitgliedern noch der Bevölkerung zu vermitteln ist, nein, es folgte die immer gleiche Leier, dass man die Koalition nicht platzen lassen darf.

Und hier sind wir am eigentlichen Problem. Mit der SPD kann man inzwischen alles machen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen.

H. Seehofer hat in den letzten Wochen so viele Dinge geäußert, die von einem Kanzler Brandt, Schmidt oder Schröder niemals akzeptiert worden wären. Aber auch nicht von einem Vizekanzler Brandt oder Gabriel. Schon mehrfach wäre zwingend der Rücktritt nötig gewesen.

Man kann sich auf die Position zurückziehen, dass Fr. Merkel Kanzlerin ist und handeln muss. Aber man darf sich dann nicht wundern, wenn man von den Wählern nicht mehr ernst genommen wird.

Wir können nicht immer auf die Schwäche der Kanzlerin verweisen. Wenn Dinge passieren, die man eigentlich nicht mittragen will, dann darf man sie nicht mittragen. Das kann im Extremfall zum Zerbrechen der Regierung führen.

Da wir aber, für jeden offen ersichtlich, nicht bereit sind eine Forderung konsequent durchzuziehen, nimmt man uns nicht mehr ernst. Für die Menschen im Land sind wir nur noch die Mehrheitsbeschaffer von Fr. Merkel. Da helfen all die positiven Initiativen unserer Minister nichts. Da wir uns jede Frechheit von H. Seehofer gefallen lassen, kommen wir damit nicht durch.

Ich kritisiere das seit längerem. Vor einigen Wochen am Rande des Kreisparteitages noch einmal eindringlich. Allerdings sehe ich keine Veränderung. Ich sehe auch nicht, dass unser Abgeordneter, Bernd Rützel, zu einer Veränderung beiträgt. Die SPD wird gelähmt von der Angst vor Neuwahlen. Ob bei mehr Konsequenz die Regierung wirklich zerbrechen würde oder es bei einem Austritt aus der Regierung überhaupt zu Neuwahlen kommen würde, ist ja noch nicht einmal ausgemacht.

Aber für mich ist eines sicher, wenn wir so weiter machen, erreichen wir bei der nächsten Wahl niemals 20%. Wir werden nie mehr eine Regierung anführen können. Deswegen ist für mich mit dem heutigen Tag das Maß voll. Ich sehe mich außer Stande die Linie des Parteivorstands noch zu vertreten.

Kurze Zeit habe ich darüber nachgedacht, mein Parteibuch nach Berlin zurückzuschicken. Aber das löst auch keine Probleme. Ich habe mich dazu entschieden in offenen Widerstand zu dieser Politik zu gehen.

Allen, die weiterhin die Linie von Andrea Nahles unterstützen, werde ich offen widersprechen. Und das auch in aller Deutlichkeit. Ich mache da keinen Unterschied zwischen normalen Mitgliedern, Abgeordneten (auch Bernd Rützel) oder Andrea Nahles selbst.

Diese Partei hat für die Menschen in diesem Land so viel erreicht. Die aktuelle Parteiführung setzt gerade den Sargnagel an. Dem kann ich nicht unwidersprochen zuschauen.

Ich unterstütze alle, die mit Natascha Kohnen oder Kevin Kühnert nun darum kämpfen, dass die SPD sich endlich einmal offensiv positioniert. Und ich werde mich offen gegen die stellen, die ein „weiter so“ unterstützen.

Noch weiter möchte ich das an dieser Stelle nicht ausschmücken. Mir war es nur wichtig, dies euch mitzuteilen, weil ihr euch sonst vielleicht wundert, mit welcher Vehemenz ich in den sozialen Medien, gegenüber der Presse oder in persönlichen Gesprächen der aktuellen Parteiführung widerspreche.

In meinen Augen geht es um die Existenz der Partei. Wenn wir noch weiter an Glaubwürdigkeit einbüßen, dann werden wir keine Wahlen mehr gewinnen. Und wir werden irgendwann auch als örtliche Organisation – trotz super Arbeit – gegen diesen Trend nicht mehr ankommen.

Ich möchte trotz meiner deutlichen Kritik aber auch dazu appellieren, der Partei als Mitglied treu zu bleiben! Außerdem möchte ich appellieren Sven Gottschalk und Harald Schneider bei der Landtags- und Bezirkstagswahl tatkräftig zu unterstützen. Die beiden opfern ihre ganze Kraft für die Menschen hier in der Region und für die Partei. Sie haben es wirklich nicht verdient, dass sie aus Berlin ständig Mist vor die Füße gekippt bekommen.

Solidarische Grüße

Christian Holzemer

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