„Die Zeit der Volksparteien ist vorbei“, „Wir müssen das Parteienkartell zerschlagen“, „Weg mit den alten Parteien“, „Die da oben kümmern sich nicht um uns“,…
Diese und andere Aussagen fallen momentan in jeder (politischen) Diskussion. Aber stimmt dieser Befund? Da ich überzeugt bin, dass ohne die beiden Volksparteien die beispiellose Erfolgsgeschichte nach dem zweiten Weltkrieg nicht möglich gewesen wäre, möchte ich mich auf den folgenden Zeilen damit beschäftigen.
Vorweg schicke ich aber auch, dass der Unmut für mich nachvollziehbar ist. Vom Berliner Flughafen bis zu gefälschten Doktorarbeiten gab es ein breites Spektrum an Fehlleistungen. Und an manchen politischen Entscheidungen, wie etwa einer vernünftigen Bankenregulierung, scheitern die agierenden Politiker. Die Frage ist nur, welche Konsequenzen man daraus zieht – abwenden oder einmischen.
1999 habe ich mich der SPD angeschlossen. Ausschlaggebend waren für mich die Grundwerte – Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität – und die örtliche Arbeit der Gemeinderäte, die ein offenes Ohr für die Jugend hatten. In diesen 17 Jahren war ich mehrmals kurz davor mein Parteibuch zurückzugeben. Teile der Agenda 2010 waren völlig unsozial, die Erhöhung des Renteneintrittalters auf 67 ohne Differenzierung für belastete Berufsgruppen oder jüngst die Zustimmung zu CETA. Würde ich alle anderen Themen ausblenden, an denen die SPD arbeitet, wäre es mir nicht möglich der Partei weiter anzugehören.
Aber kann Politik so funktionieren? Gibt es immer nur schwarz oder weiß? Gibt es immer nur einfache Antworten? Kann unser Zusammenleben funktionieren, wenn man Engagement von einem einzelnen Thema abhängig macht?
In den letzten Wochen und Monaten dominieren der Umgang mit den Flüchtlingen und die Freihandelsabkommen große Teile der Nachrichtenmeldungen. Viele Entscheidungen meiner Partei in diesen Fragestellungen gefallen mir nicht.
Aber es gibt eben noch andere Themen. Ist die Versorgung mit Lebensmitteln im Ort gesichert? Fahren noch genügend Busse? Haben wir ausreichend Kita-Plätze? Wie kann der Ortskern belebt werden? Wie können Gebühren stabil gehalten werden? War die Flurbereinigung erfolgreich? Werden gemeindliche Grundstücke ausreichend gereinigt? Wie geht es mit den Friedhöfen weiter? Sind unsere Feuerwehren gut ausgerüstet? Können wir das Schwimmbad erhalten? Sind die Straßen gut ausgebaut? Werden sie im Winter rechtzeitig geräumt? Ist die Verwaltung personell gut aufgestellt? Erhalten wir ausreichend Unterstützung für Infrastrukturmaßnahmen? Wird der Wald nachhaltig bewirtschaftet?
Das ist nur ein kleiner Teil von Themen, die täglich anstehen. Manche stehen im Fokus der Bevölkerung – manche weniger. Über manches diskutiert man gerne – anderes ist so trocken, dass man es gerne ausspart. Ja, aber wer kümmert sich um all diese Dinge, wenn wir uns nur noch einem Schwerpunkt widmen? Wenn ich mein Engagement von der Haltung zu einem internationalen Abkommen abhängig mache? Ein gutes Zusammenleben funktioniert nur, wenn all diese verschiedenen Aufgaben im Blick bleiben.
Hier kommt die Idee der Volkspartei ins Spiel. Ziel sowohl von CDU als auch SPD war und ist, mit einer breiten Mitgliedschaft die verschiedensten Interessengruppen vereinigen zu können. Es sind eben keine Parteien, die überwiegend Juristen, Umweltaktivisten oder Beamten zu ihren Mitgliedern zählen. Vertreten sind natürlich auch die angesprochenen Personengruppen aber eben auch Industriearbeiter, Erzieherinnen, Lehrer, Selbständige, Ehrenamtliche aus den verschiedensten Bereichen usw. Es sind Menschen mit den unterschiedlichsten Lebens- und Berufserfahrungen. Und eben diese Personen treffen sich dann regelmäßig bei den verschiedensten Aktivitäten in den Ortsvereinen – Vorstandssitzungen, Informationsveranstaltungen, Stammtische,… - und diskutieren über unterschiedliche Themen. So kommen verschiedene Sichtweisen zusammen. Dies mischt sich am Ende zu einem Kompromiss der eine möglichst breite Akzeptanz findet.
Die beiden (noch) Volksparteien vereinigen jeweils knapp eine halbe Million Mitglieder. Dies gewährleistet eine flächendeckende Verankerung in weiten Teilen des Bundesgebietes. Dadurch gibt es viele örtliche Vertreter der Parteien, die das Ohr an den Lebenswirklichkeiten der Bevölkerung haben. Dies gewährleistet, dass die Nöte der Menschen Gehör finden. Aber auf der anderen Seite auch die Möglichkeit den Bürgern politische Entscheidungen zu erklären.
Soweit die Theorie. In meiner Partei hat diese Durchlässigkeit von unten nach oben - und umgekehrt - sehr lange gut funktioniert. Vor allem zu Zeiten, als der Partei bis zu 1 Million Menschen angehörten. Sinkende Mitgliederzahlen sorgen aber dafür, dass immer mehr weiße Flecken entstehen. In ländlichen Regionen gibt es Orte, wo zu wenige Mitglieder vorhanden sind, um noch eine vernünftige Ortsvereinsarbeit aufrechtzuerhalten. Dadurch geht dort der direkte Kontakt verloren.
Verändert wird der politische Dialog inzwischen auch durch neue Medien. Auf Facebook oder Twitter wird in „Echtzeit“ berichtet. Es werden mehr Menschen und zudem in kürzerer Zeit erreicht. Das kann eine Chance sein. Allerdings wird man bei Kurznachrichtendiensten gezwungen eine Message auf maximal 140 Zeichen zu kürzen. Dies führt zu einer Zuspitzung. Auch komplexe Zusammenhänge werden auf einfache Aussagen beschränkt. Verteilt man eine Argumentation auf mehrere Kurznachrichten geht man im Nachrichtengewirr schnell unter – im Gegensatz zu aufsehenerregenden Schlagworten von Populisten.
Wir dürfen aber nicht auf die vermeintlich einfachen Antworten hereinfallen. Die Welt ist viel zu komplex. Außerdem dürfen wir uns nicht von Schwarzmalern anstecken lassen. Dieses Land steht zweifellos vor großen Herausforderungen. Es fallen zu viele Menschen durch das Sicherungsnetz, es müssen sich viele Beschäftigten Sorgen um ihre spätere Rente machen, usw. Ja, es gibt Probleme. Aber wir müssen gelegentlich auch einmal innehalten und auf das schauen, was erreicht wurde.
Der Lebensstandard, die soziale Absicherung, die Infrastruktur oder auch das Bildungsniveau Deutschlands gehören zu den Besten auf diesem Planeten. Das muss man sich gelegentlich auch einmal bewusst machen. Wir sollten auch nicht so tun, als hätten die sog. etablierten Parteien in den vergangenen 70 Jahren alles falsch gemacht, als hätten wir in diesem Land nichts erreicht.
Demokratie ist anstrengend. Sie ist manchmal schwierig. Und wer sich einmischt ärgert sich auch immer wieder. Aber Milliarden Menschen, die unter der Herrschaft absolutistischer Regime leben müssen, hätten gerne unsere Möglichkeiten. Bitte macht euch das immer mal wieder bewusst!
Demokratie funktioniert nur mit Beteiligung. Deswegen geht hin zu den Veranstaltungen der Parteien. Wir in der SPD öffnen fast jede Veranstaltung ganz bewusst für alle interessierten Menschen und eben nicht nur für Mitglieder. Wir geben bewusst die Möglichkeit mitzudiskutieren. Es ist ein Angebot zur Beteiligung. Wenn wir so auch neue Mitglieder gewinnen können, freuen wir uns natürlich. Aber im Vordergrund steht der Dialog mit möglichst vielen Menschen.
Ich kann mir nur wünschen und auffordern:
Nehmt das Angebot an und beteiligt euch.
Stärkt die Demokratie, indem ihr euch einbringt!