Die Bundestagswahl am 26.09.2021 hat uns ein interessantes Ergebnis beschert. Es gibt eine ganze Reihe an möglichen Koalitionen. Realistisch sind aber eigentlich nur Ampel (SPD/Grüne/FDP), Jamaika (Union/Grüne/FDP) oder „GroKo“ (SPD/Union). Alles andere hat keine Mehrheit oder wurde ausgeschlossen (Beteiligung AfD). Die Umfragen sind eindeutig. Eine überragende Mehrheit wünscht sich eine Ampelkoalition mit Olaf Scholz als Bundeskanzler.
Also, alles klar? Ganz so einfach ist und wird es nicht.
Die folgenden Zeilen sehe ich nicht rein aus der Parteibrille. Vor vier Jahren habe ich mich noch für Jamaika ausgesprochen hier nachzulesen. Das sieht in diesem Jahr jedoch anders aus.
Gleichgültig, wie groß die Schnittmengen zwischen einzelnen Parteien sind, so traue ich der Union in der Verfassung des Jahres 2021 nicht zu, eine Regierung vernünftig anzuführen. Zu keinem Zeitpunkt im Wahlkampf war zu erkennen, was die Union eigentlich will. Außer Roten Socken, war da nicht viel.
Teilweise hat man den Überblick verloren, ob häufiger gegen die Konkurrenten oder den eigenen Kandidaten geschossen wurde. Konnte die Union in der Vergangenheit zumindest während Wahlkämpfen überdecken, dass sie aus zwei unterschiedlichen Parteien besteht, wurde dies in diesem Jahr überdeutlich.
Politik auf dieser Ebene ist ein hartes Geschäft. Die unerbittlichen – und meist öffentlich ausgetragenen – Kämpfe untereinander, haben mich dann aber doch ziemlich erschrocken. Meiner Einschätzung nach wäre die Union - trotz schlechtem Kandidaten - mit Geschlossenheit irgendwo in der Nähe von 30% gelandet. Ist sie aber nicht. Auf der anderen Seite hat die SPD eine Aufholjagd hingelegt, die ihr von der (medialen) Öffentlichkeit vor wenigen Monaten noch nicht zugetraut wurde. Aber für die SPD hat sich etwas ausgezahlt, was die Union verweigert hat: Wir haben unsere Konflikte geklärt.
2018 lagen wir am Boden. Zerstritten, inhaltlich orientierungslos. Es folgte ein langer Prozess zur Findung einer neuen Parteiführung. Parallel dazu wurde aber noch etwas viel wichtigeres gemacht: Die SPD hat mit ihrem Sozialstaatskonzept eine inhaltliche Erneuerung vorgenommen. Personal und Inhalt wurden im Dezember 2019 nahezu einstimmig bei einem Bundesparteitag bestätigt.
Gegen alle Unkenrufe tritt die SPD seither geschlossen auf. Sie lässt sich auch nicht von außen aus der Ruhe bringen, wenn auf scheinbare Widersprüchlichkeiten hingewiesen wird. Teile der Medien verwinden es immer noch nicht, dass die Parteiführung völlig geräuschlos den einzig logischen Kanzlerkandidaten vorgeschlagen und mit aller Kraft unterstützt hat – Olaf Scholz.
Die Erholung der SPD wäre aber nicht möglich gewesen, wenn Ende 2019 andere Entscheidungen gefällt worden wären. Die Geschlossenheit, die das Wahlergebnis möglich gemacht hat, hat ihren Ursprung im Jahr 2019. Viele Fehler der Wahlkämpfe 2009, 2013 und 2017 (zu späte Nominierung, unklares Programm, verspätete Kampagne, Nervosität), wurden vermieden. Auf die innere Befriedung wurde nun durch Lars Klingbeil eine stimmige und starke Kampagne aufgebaut. Das Ergebnis ist weit von früheren Zustimmungsraten entfernt, aber in Anbetracht von Umfragewerten unter 15% Mitte 2021, schon eine kleine Sensation.
Die SPD ist aus der Bundestagswahl als stärkste Fraktion hervorgegangen. Allerdings nur knapp vor der Union. Zurecht wird darauf hingewiesen, dass nicht automatisch die größte Fraktion den Kanzler stellt. Am Ende muss sich eine Mehrheit bilden. Das kann auch unter anderer Führung geschehen.
Vergleiche mit den Wahlen von Helmut Schmidt, der auch Kandidat der zweitstärksten Kraft war, hinken allerdings. Laschet mit Schmidt zu vergleichen, wäre ohnehin vermessen. Der entscheidende Unterschied liegt aber darin, dass damals die Koalition aus SPD und FDP mit der klaren Ankündigung in den Wahlkampf gezogen ist, die Regierung weiterführen zu wollen. Diesmal war erklärtes Ziel der Regierung, dass sich eine neue Koalition bilden soll.
Daher ist die Tatsache, dass drei Parteien hinzugewonnen haben, ein deutliches Zeichen des Wählers, dass diese auch versuchen sollen, eine Regierung zu bilden.
Ich habe schon vor der Wahl für eine Regierung aus SPD, Grüne und FDP geworben. Es darf nicht nur darum gehen, was ist einfach, was geht schnell. Vor uns liegen gewaltige Veränderungen. Den Klimawandel anzunehmen und unsere Art des Wirtschaftens grundlegend umzubauen. Die digitale Infrastruktur schnell auszubauen und die Digitalisierung voranzubringen. Die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfest zu machen. Die Schere zwischen Stadt und Land wieder schließen, usw.
Wenn wir das ernst nehmen, was die meisten Parteien im Wahlkampf thematisiert haben, dann liegen gewaltige Herausforderungen vor uns. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Daher wäre es auch ein gutes Zeichen, wenn die Regierung diesen weiten Bogen auch abbildet.
Man spricht oft von politischen Lagern – links der Mitte oder rechts der Mitte. Sowohl die Ampel, als auch Jamaika, wären „lagerüberspannend“. Abgesehen davon, dass diese Grenzen heute eher fließend sind, sehe ich eine große Chance in dieser Aufstellung.
Die Grünen, die beim Klimaschutz antreiben. Eine FDP, die dabei auf Wirtschaft und Freiheitsrechte schaut. Und schließlich eine SPD, die das zusammenführt und einen sozialen Ausgleich organisiert.
Meiner Meinung nach, kann daraus Spannendes entstehen.
Jede andere Regierungskonstellation würde dem momentanen Willen der Bevölkerung fundamental entgegenstehen. Das kann sich natürlich alles ändern. Wenn aber selbst unter den FDP-Wählern eine Mehrheit für eine Ampel-Koalition ist – ganz zu schweigen von den Grünen-Wählern – sollten beide Parteien nicht unterschätzen, welche Auswirkungen es haben kann, wenn nicht zumindest Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden.
Scheitern diese, sollte es auch in meinen Augen zu Jamaika kommen. Eine GroKo dürfte es nur zur Vermeidung von Neuwahlen geben. Allerdings bin ich mir sicher, dass es nicht dazu kommt. Die FDP kann sich nach 2017 diesmal kein Scheitern einer Regierungsbeteiligung erlauben.
Ich glaube, es würde der Union guttun, zu verschnaufen und sich neu aufzustellen. Das wird von mir nicht wegen den Koalitionsverhandlungen so gesehen, sondern wegen der Zukunft. Wer mich kennt, weiß, dass ich ein Anhänger des Modells „Volkspartei“ bin. Zwei Parteien, die einen Querschnitt der Bevölkerung repräsentieren, tuen dem demokratischen System gut. Dazu müssen Union und SPD aber auch in der Lage sein. Deswegen habe ich kein Interesse daran, dass sich die Union jetzt komplett zerlegt.
Auch für die Sozialdemokraten bedeutet das noch viel Arbeit. Ja, 25,7% ist ein tolles Ergebnis, wenn man von 13% kommt. Aber der Anspruch sollte sein, die Zustimmung wieder Richtung 1/3 der Wahlberechtigten zu bringen. Da sich das Parteiensystem grundlegend verändert hat, sind Ergebnisse, wie bis zur Jahrtausendwende nicht mehr möglich. Dennoch muss es unser Ziel sein und auch das der Union, von den politischen Rändern wieder mehr Wähler zu binden und in das demokratische Spektrum zu ziehen.
Gelingen wird das nur, wenn beide Parteien inhaltlich und personell auf der Höhe der Zeit sind. Rheinland-Pfalz oder Mecklenburg-Vorpommern zeigen, dass die SPD dazu noch in der Lage ist.
Jetzt wünsche ich mir eine möglichst zügige Regierungsbildung, mit Sozialdemokraten, die auf Augenhöhe mit Grünen und FDP das Land in die Zukunft führen.