Gleich vorweg: Ich gehöre nicht zu den Olaf Scholz Ultraz (ein Twitteraccount). Bei der Wahl zum Parteivorsitz habe ich ihn auch nicht unterstützt.
Trotzdem finde ich die Festlegung gut! Ein paar Zeilen, weshalb.
Kurzer Rückblick auf die Wahl der Parteivorsitzenden 2019. In den Medien wird häufig die Mär bedient, dass die Mitglieder damals Olaf Scholz abgewatscht haben. Man kann das so sehen. Für mich war aber etwas ganz anderes entscheidend.
Ich wollte auf keinen Fall ein Regierungsmitglied in der Parteiführung. Die SPD war völlig zerstritten. Das lag auch daran, dass von Müntefering über Gabriel bis Nahles die SPD „regierungskonform“ geführt wurde. In einer Regierung – zumal als Juniorpartner der Union – muss man Kompromisse machen. Jedoch kam die Positionierung der SPD abseits der Koalition zu kurz. Deswegen wollte ich kein Regierungsmitglied im Parteivorsitz.
Fast alle Kandidaten, außer Olaf Scholz, hatten klar erklärt, dass sie nicht persönlich ins Kabinett eintreten wollen. Also habe ich mich in beiden Wahlgängen für andere Kandidatenpaare entschieden, um der Partei die Möglichkeit zu geben, sich besser zusammenzuraufen. Meiner Wahrnehmung nach hat das bisher auch recht gut geklappt – wenn auch die Umfragen verheerend bleiben.
Einen sehr großen Anteil daran hat übrigens Olaf Scholz. Er hat sich nicht wie ein bockiges Kind verhalten – wohltuend anders, als Sigmar Gabriel -, sondern das Votum akzeptiert und arbeitet solide weiter. Gerade in der Coronakrise wurde er zu einem Felsen in der Brandung, innerhalb der Bundesregierung.
Der Blick wird natürlich schon seit Wochen nach vorne gerichtet. Die Bundestagswahl 2021 wirft ihre Schatten voraus. Die Frage, wer als Spitzenkandidat antreten kann, ist für mich eine völlig andere, als diejenige nach der Parteiführung.
Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zurecht, dass der Spitzenkandidat – der entweder Kanzler, Vizekanzler oder Oppositionsführer werden könnte – eine Person ist, der man diese Aufgabe zutraut. Es geht nicht darum 420.000 Parteimitglieder zusammenzuführen, sondern fast 62 Million Wahlberechtigten ein Angebot zu unterbreiten, dem sie es zutrauen, dieses Land vernünftig zu regieren.
Olaf Scholz hat sicher nicht das Feuer und die Begeisterungsfähigkeit eines Gerhard Schröder. Aber ist das momentan überhaupt eine wichtige Eigenschaft? Ähnlich wie 1998 wird auch 2021 eine Ära enden. Das Land sehnt Veränderungen herbei. Aber es gibt einen großen Unterschied zum Ende der Ära Kohl: Wir werden uns auch 2021 noch mitten in der Coronakrise befinden. Vor diesem Land stehen gewaltige Herausforderungen.
Bisher ist Deutschland im internationalen Vergleich verhältnismäßig gut durch diese Krise gekommen. Im Bereich des Gesundheitsschutzes können sich die Erfolge sehen lassen. Allerdings werden die wirtschaftlichen Folgen erst noch richtig durchschlagen. Das verabschiedete Konjunkturpaket stützt die Wirtschaft und vor allem die Beschäftigten. Aber wir müssen uns nichts vormachen. Es kommen noch harte Zeiten. In denen gilt es ganz besonders zu verhindern, dass ausgerechnet die Schwächsten unter die Räder kommen.
Auch wenn Olaf Scholz immer als eher kaltherzig oder als rechter Sozialdemokrat bezeichnet wird, muss man ganz klar feststellen, dass er es im aktuellen Kabinett ist, der die Spielräume für Kurzarbeitsregelungen, Kitaausbau, etc. ermöglicht. Er hat dies übrigens schon während der letzten Wirtschaftskrise als Arbeitsminister getan. Seine Kurzarbeitsregelung ist Basis für die aktuelle und hat Million Jobs gerettet!
Mir ist aber etwas anderes noch sehr wichtig herauszustellen. Ich finde seine ruhige und besonnene Art kein Makel, sondern absolute Stärke. Schauen wir doch in die USA, nach Großbritannien oder nach Brasilien. Schaumschläger in Regierungsverantwortung sorgen nicht nur für Unruhe, sondern sind, im wahrsten Sinne des Wortes, lebensgefährlich.
Natürlich kann ich meine Tätigkeit nicht mit dem Kanzleramt vergleichen. Aber in den Monaten der Coronapandemie hat sich auch bei mir im Rathaus eines herauskristallisiert: Gleichgültig, wie hoch der Druck wird, man muss besonnen bleiben. Man muss sich der Tragweite der Entscheidungen bewusst sein.
Man kann Olaf Scholz sicher vieles nachsagen, aber nicht, dass er unüberlegt handelt. Ich kann mich irren, aber ich prophezeie, dass wir national und international vor Zeiten stehen, in denen es enorm wichtig sein wird, überlegt zu handeln.
Noch einen letzten Punkt will ich ansprechen. Olaf Scholz ist durchaus ein Politiker, der zukunftsgewandte Themen angeht. Er hat in Hamburg sozialen Wohnungsbau betrieben, als die Wohnungsknappheit in der öffentlichen Wahrnehmung noch keine Rolle gespielt hat. Er weiß um die Bedeutung technischer Innovationen für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Genau deswegen hat er eine hohe Förderung entsprechender Forschung im Konjunkturpaket durchgesetzt.
Ihm ist aber auch bewusst, dass bei aller Innovation die Menschen nicht auf der Strecke bleiben dürfen. Wenn sich Arbeitsprozesse verändern, dann müssen Arbeitnehmer darauf vorbereitet werden. Das geht nicht endlos. Das hat auch Grenzen. Es ist ein großes Problem der SPD, dass sich gerade die Menschen in Regionen, die dem Strukturwandel sehr stark ausgesetzt sind, bei uns nicht mehr aufgehoben fühlen. Es darf nicht länger passieren, dass wir deren Bedürfnisse vergessen.
Ein Beispiel: Ich weiß, dass wir aus der Stromerzeugung aus Kohle aussteigen müssen. Aber wir dürfen das nicht so machen, dass bei den vielen Tausend Menschen, die dort beschäftigt sind, der Eindruck entsteht, dass wir ihre Lebensleistung geringschätzen. Das erzeugt Frust. Und den hat bisher vor allem die AfD aufgenommen. Damit muss Schluss sein. Wir müssen echte Möglichkeiten bieten.
Um es überzeichnet zu sagen: Es bringt dem Baggerführer im Braunkohlebergbau relativ wenig, wenn wir ein Entwicklungszentrum eines internationalen IT-Konzern als Ersatz ansiedeln. Wir müssen realistische Perspektiven bieten. Nur so wird die Transformation unserer Wirtschaft erfolgreich sein. Olaf Scholz ist da Realist genug, um ein Gespür hierfür zu haben, ohne auf Zukunftsthemen zu verzichten.
Das hier soll aber auch keine reine Lobeshymne sein. Es gab auch Themen, bei denen Olaf Scholz nicht gerade geglänzt hat. Bei der Steuergerechtigkeit ist noch einiges zu tun. Das internationale Besteuerungssystem, an dem er als Finanzminister intensiv gearbeitet hat, ist bis heute nicht vereinbart. Der G20-Gipfel in Hamburg bleibt nicht wegen den Beschlüssen, sondern den Begleiterscheinungen in Erinnerung.
Aber ich möchte jetzt nicht den Fehler machen, den einige Parteifreunde begehen und nur die Versäumnisse herausstellen. Das wird der politische Mitbewerber schon erledigen.
Ich glaube, die Mitbewerber werden es schwer haben eine Spitzenkandidatin oder einen Spitzenkandidaten zu finden, der oder die noch keine Fehler gemacht hat und der oder die in der Breite der Bevölkerung ähnlich anerkannt ist.
Ob das reichen wird, die SPD aus dem Umfragetal zu führen, ist eine ganz andere Frage. Ob es gelingen wird, ein gutes Programm und ein gutes Team zusammenzustellen, werden die kommenden Wochen zeigen.
Der Zeitpunkt mag zu früh sein, aber gibt auch genügend Zeit, eine stimmige Kampagne vorzubereiten.
Ein Vorwurf aus der Union wird sich auf jeden Fall nicht bestätigen. Die Regierungsarbeit wird nicht darunter leiden. Wenn man sich auf eines verlassen kann, dann darauf, dass Olaf Scholz bis zum letzten Tag dieser Koalition gute Arbeit im Kabinett leisten wird.
Wenn man die Duelle zwischen Laschet und Söder in den letzten Monaten gesehen hat, dann sollte der Koalitionspartner eher vor der eigenen Haustüre kehren. Ähnliche Ränkespiele zwischen Merkel und Scholz sind mir nicht bekannt und für mich auch unvorstellbar.
An meine Partei: Wir haben jetzt Klarheit. Machen wir was draus.